Berlin, 1. Oktober 2025 – Mit dem Bildungspolitischen Forum 2025 ist es den diesjährigen Ausrichtenden Prof. Dr. Silke Anger, Dr. Bernhard Christoph (beide IAB), Friederike Hertweck, Ph.D., Prof. Dr. Kerstin Schneider (beide RWI) und Prof. Dr. Ludger Wößmann (ifo) aus dem Leibniz-Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale (LERN) gelungen, den Dialog zu Bildung in Zeiten von Transformation und beruflichem Wandel auf eine neue Ebene zu heben.
Über 150 Teilnehmende aus Wissenschaft, Politik und Praxis kamen in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Berlin zusammen, um über die Kompetenzen zu diskutieren, die Menschen für den gegenwärtigen Wandel im Bildungssystem brauchen – und darüber, wie Bildungseinrichtungen und Betriebe gemeinsam auf Fachkräftemangel und Veränderungen wie Digitalisierung, demografischer Wandel und Dekarbonisierung reagieren können. Teile der Veranstaltung wurden live gestreamt; die Aufzeichnung ist online hier abrufbar.
Durch das Programm führte – wie gewohnt charmant und zugleich hartnäckig nachfragend – Bildungsjournalist Dr. Jan-Martin Wiarda.
„Sie begeben sich ins Auge des Sturms!“
Bereits zu Beginn der Veranstaltung machten die Grußworte der Politik deutlich, wie bedeutsam evidenzbasierte Bildungsforschung ist. Dorothee Feller (Ministerin für Schule und Bildung NRW) und Dr. Petra Bahr (Staatssekretärin im BMBFSFJ) betonten die Notwendigkeit, Wirksamkeit von Maßnahmen wissenschaftlich zu prüfen und den Austausch zwischen Forschung und Politik zu stärken.
Bahr würdigte den Mut der Ausrichtenden: „Sie begeben sich ins Auge des Sturms!“ Angesichts zahlreicher gleichzeitiger Herausforderungen – von der Klimakrise bis zum Aufkommen künstlicher Intelligenz – brauche es evidenzbasierte Wissenschaft, die Orientierung bietet.
Auch Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF), Vorsitzender der Sprechergruppe von LERN, machte in seiner Begrüßung deutlich: Reformen benötigen Zeit für wissenschaftliche Evaluation – und ihre Ergebnisse müssen von der Politik wiederum auch angenommen werden. „Forschung untersucht die Vergangenheit, um Empfehlungen für die Zukunft geben zu können“, so Maaz. Im Übrigen dürfe man sich als Forschungsnetzwerk beim insgesamt 13. Bildungspolitischen Forum durchaus auch mal in’s Auge des Sturms wagen.
Lernen zu lernen – eine alte Idee, heute aktueller denn je
Prof. Dr. Ludger Wößmann (ifo) hob in seiner thematischen Einführung hervor, wie unverzichtbar sprachliche, mathematische und naturwissenschaftliche Basiskompetenzen in Zeiten des Wandels seien. Zugleich komme der Fähigkeit, sich immer wieder neue Kenntnisse anzueignen, eine Schlüsselrolle zu: „Lernen zu lernen“ sei heute wichtiger denn je. Diese Idee sei keineswegs neu, erinnerte Wößmann: Schon 1809 habe Wilhelm von Humboldt sie in einem Bericht formuliert.
Keynote: Der „Mismatch“ am Arbeitsmarkt
Prof. Bernd Fitzenberger, Ph.D., Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), zeichnete in seiner Keynote ein klares Bild: Auf dem deutschen Arbeitsmarkt klafft ein enormer „Mismatch“. 40 Prozent aller Fachkraftstellen seien unbesetzt, während rund drei Millionen Menschen arbeitslos gemeldet sind. Besonders betroffen seien Kleinbetriebe und das Baugewerbe.
Auch am Ausbildungsmarkt zeige sich eine ähnliche Schieflage: Betriebe suchen händeringend nach Auszubildenden, zugleich blieb im Vorjahr ein Drittel aller Ausbildungsstellen unbesetzt. Viele Schulabgänger bleiben ohne beruflichen Abschluss; ungelernte Helferjobs und der weiterführende Schulbesuch erscheinen Ihnen kurzfristig attraktiver als der Beginn einer Berufsausbildung. Langfristig zeige die Forschung jedoch eindeutig: Wer eine Berufsausbildung abschließt, profitiert langfristig davon und ist im späteren Lebensverlauf seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Personen ohne berufliche Ausbildung.
Um dieser Konstellation gegenwirken zu können, müsse man Jugendliche besser erreichen und über die Vorteile einer Ausbildung besser informieren. Sie schätzen vor allem den direkten Austausch mit Berufsberater:innen, Familie und Bekannten und die Berufsorientierung über Praktika. Bei der Weiterbildung hingegen gilt: Ausgerechnet diejenigen, die sie am dringendsten benötigen, nutzen sie am wenigsten. Hier liege großes unerschlossenes Potenzial in Form von Teilqualifizierungen.
Intensiver Austausch in vier Foren
Am Vor- und Nachmittag diskutierten Vertreter:innen aus Wissenschaft, Praxis und Politik in vier Foren, die exklusiv vor Ort stattfanden.
- Schule: Das Panel unter Moderation von Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF) forderte, Berufsorientierung frühzeitig zu verankern – am besten schon spielerisch in der Kita. Arbeitgeber sollten Brücken schlagen, Eltern stärker einbeziehen und die Berufswahl als lebensbiografischen Prozess begleiten.
- Weiterbildung: Unter Leitung von Prof. Dr. Martin Ehlert (WZB) diskutierte das Forum, wie Weiterbildung helfen kann, die Risiken der Transformation abzufedern. Digitale Angebote bieten Chancen, müssen aber klug implementiert werden. Konsens: Lebenslanges Lernen darf kein Schlagwort bleiben, sondern muss Leitprinzip des Bildungssystems sein.
- Ausbildung: Moderiert von Prof. Dr. Silke Anger und Dr. Bernhard Christoph (beide IAB) betonten die Diskutant:innen, wie wichtig realistische Einblicke in Berufsbilder sind. Jugendliche hätten oft falsche Vorstellungen von Arbeitswelten. Ebenso entscheidend sei es, ihnen Wechseloptionen im Berufsverlauf aufzuzeigen.
- Hochschule: Im Austausch mit Politik und Wissenschaft diskutierte das Forum unter Leitung von Prof. Dr. Kerstin Schneider und Friederike Hertweck, Ph.D. (beide RWI) aktuelle Herausforderungen der Hochschullandschaft, insbesondere hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen sowie der sinkenden Studierendenzahlen. Hochschulen müssen auf lebenslanges Lernen vorbereiten und sich an die Heterogenität der Studierendenschaft besser anpassen.
Die Teilnehmenden vor Ort brachten ihre Erfahrungen und Fragen intensiv ein – ein Austausch, der die Diskussion spürbar bereicherte.
Bildungsdialog als krönender Abschluss
Höhepunkt des Tages war der Bildungsdialog, erneut in Kooperation mit dem BMBFSFJ. Unter dem Motto „Transformation und beruflicher Wandel: Was bedeutet das für die Bildung?“ diskutierten Andreas Peikert (Jobcenter Berlin Marzahn-Hellersdorf), Prof. Dr. Heike Solga (WZB), Dr. Catrin Hannken (BMBFSFJ) und Thomas Hoppe (DIE JUNGEN UNTERNEHMER).
Die Positionen reichten von der Forderung nach mehr Flexibilität in der Ausbildung (Solga) über die Verteidigung des bestehenden dualen Systems (Hannken) bis hin zur Kritik an fehlenden digitalen Kompetenzen und mangelnder Gründerförderung (Hoppe). Moderator Wiarda griff die Spannungen auf und entließ das Publikum mit der Frage: „Müssen wir nicht neu austarieren, wie viel Bewahrung und wie viel Veränderung unser Ausbildungssystem braucht?“
Fazit
Die Resonanz auf das 13. Bildungspolitische Forum war ausgesprochen positiv. Einmal mehr zeigte sich: Nur im engen Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis lassen sich Lösungen für die Herausforderungen der Transformation entwickeln.
LERN dankt allen Mitwirkenden und Teilnehmenden für ihre Beiträge und freut sich auf die Fortsetzung der Diskussion.